Donnerstag, 2. August 2018
Mut oder Größenwahn
Manchmal wundert sich der Fachmann und der Laie staunt: Warum lassen manche Besitzer und Trainer ihre Pferde in Prüfungen starten, in denen sie nach ihren Vorleistungen absolut chancenlos sind?

Jüngstes Beispiel im Großen Dallmayr-Preis am letzten Sonntag in München: Nach Vorleistungen schien die Prüfung der höchsten Kategorie für Clearly, Matchwinner und Rapido viel zu schwer. Auch in der Realität: Diese Pferde belegten dann auch die letzten drei Plätze des Rennens.
Bei Clearly könnte man noch argumentieren, dass sie vielleicht das Tempo für den Stallgefährten Wai Key Star – beide im Besitz des Stalles Salzburg und beide trainiert von Sarah Steinberg – machen sollte. Machte sie aber nicht, die Stute kam nie vom Ende des Feldes weg und wurde mit elf Längen Rückstand Drittletzte. Nach Bestformen – dritter Platz in einem Listen-Stutenrennen, Zweiter in einem Ausgleich 2 – müssen die Verantwortlichen nur auf das Prinzip Hoffnung gesetzt haben. Allerdings: Das hohe GAG von 89.5 (Quelle Formenspiegel Racebets) macht das Management des Pferdes nicht einfach.
Überfordert wirkte auch Rapido, dessen Comeback nach schwerer Verletzung im Herbst für einige Unruhe sorgte und dessen beste Form 2014 ein zweiter Platz in der Union hinter Sea The Moon war. Das war der letzte Auftritt für Trainer Andreas Löwe, das Pferd verletzte sich so schwer, dass es keine Rennen mehr laufen konnte. Jedenfalls gaben seine Besitzer, das Gestüt Winterhauch, Rapido als Reitpferd ab. Doch der Neustart in neuem Besitz und mit neuem Trainer folgte. Es kam zu Turbulenzen und Gerichtsurteilen, kann man beim Kollegen Blücher schön nachlesen. Das Pferd gewann zweimal im belgischen Mons – das war weit von Gruppe 1-Format entfernt. In Hamburg war er im Großen Hansa-Preis (Gruppe 2) chancenlos, davor war er im Ausgleich 2 Letzter. Für ihn gäbe es deutlich lösbarere Aufgaben.
Bei Matchwinner liegen die Dinge vielleicht ein wenig anders: Immerhin siegte er 2017 in zwei Grupperennen und war auch sonst sehr beständig. Aber die alte Form ist nicht mehr da, zuletzt lief er in drei Top-Rennen hinterher. Mit 91 kg GAG kann er aber nicht zurück ins Handicap.
Warum laufen diese Pferde in diesen schweren Prüfungen? Ist es das Preisgeld? Immerhin gab es für den Fünften in München noch 3000 Euro, der Sieger im Ausgleich 2 in München hätte 6000 bekommen, der Fünfte wäre leer ausgegangen.
Ist es das Prestige für den Besitzer, der auf einmal einen Starter bei den Besten hat? Ob das nicht vielleicht zum Bumerang wird, wenn das Pferd immer nur hinter her läuft?

Ako und Clive Brittain
Manchmal gibt es ja auch diese Sensationen, über die die Turf-Welt noch Jahre lang spricht. Gestern triumphierte zum Beispiel im englischen Goodwood Feel Glorious für den Toto 67:1. Aber das war ein Sieglosenrennen für zweijährige Pferde, von denen viele ihr Lebensdebüt gaben und deren Leistungsvermögen noch nicht eingeschätzt werden kann.
In Deutschland verweist die Turf-Gemeinde immer auf das Beispiel Ako aus dem Jahr 1982. Mit diesem Derbysieger hatte niemand gerechnet, das war die Sensation. Im Sattel saß der legendäre Erwin Schindler, in Training war der Hengst bei Besitzertrainer Hans-Günther Heibertshausen.
In England hatte Trainer Clive Brittain, inzwischen längst im Ruhestand, zeitweise eine Art Kultstatus. Denn der Mann aus Newmarket, unter anderem Betreuer von Warrsan, Luso und Crimplene, schickte immer wieder sieglose Pferde in die Klassiker wie Derby, Oaks oder die Guineas. „Keine Angst vor großen Aufgaben“, schrieb dann gerne die Fachpresse. Natürlich scheiterte diese Politik in den allermeisten Fällen, doch manchmal ergatterte sich so ein Außenseiter ein Platzgeld. Und die Szene feierte den Trainer mit dem angeblich so goldenen Händchen.
Dass Clive Brittain jahrelang ein Trainer mit einer sehr schlechten Starts/Sieg-Statistik war – vergessen. Ich halte jedenfalls von dieser Strategie nichts. Pferde verlieren auch die Lust am Laufen, wenn sie immer abgehängt werden. Ein guter und verantwortungsvoller Trainer kann das Leistungsvermögen seiner Starter realistisch einschätzen und verheizt sie nicht in zu schweren Aufgaben. Auch wenn der Besitzer etwas anderes möchte.



Dienstag, 24. Juli 2018
Ganz großer Sport in Ascot und Goodwood
Der Galopprennsport in England kam in dieser Kolumne zuletzt ein wenig kurz. Royal Ascot etwa wurde quasi ignoriert. Das soll sich ändern – denn gerade Ende Juli und Anfang August geht es auf der Insel hoch her: In Ascot steht die King George VI and QE Stakes, ein Gruppe 1-Rennen über 2400 Meter, auf dem Programm. Fast nahtlos darauf folgt Glorious Goodwood mit vielen Gruppe-Prüfungen und oftmals wahnsinnig schwierigen Handicaps. nurpferdeundfussball macht schon mal ein wenig Appetit auf drei Höhepunkte.

King George VI and QE Stakes, Samstag 28.07.2018, Ascot
Der Sommer-Showdown über 2400 Meter: 2012 und 2013 triumphierten hier Danedream und Novellist für deutsche Interessen. Im Vorjahr distanzierte die famose Enable das Feld, die Siegerliste ist gespickt mit großen Namen des Turfs.
In diesem Jahr sorgte ein Pferd aus dem mächtigen Quartier von Aidan O’Brien für die größte Bewegung bei den Buchmachern. Der dreijährige Kew Gardens gewann am vorletzten Samstag den Gruppe 1-Grand Prix de Paris in Longchamp. Es war ein Test, ob er auf 2400 Metern mit den Besten mithalten kann. Test bestanden, denn eigentlich galt der Hengst nach seinem überlegenem Erfolg in den Queens Vase Stakes in Royal Ascot (Gr.2, 2800 Meter) als Kandidat für das englische St. Leger. Das mag sich nicht ausschließen, denn das St. Leger ist ja erst im September.
Im Wettmarkt notiert das O’Brien Pferd hinten den beiden Schützlingen von Sir Michael Stoute, Crystal Ocean und Poet’s Word. Crystal Ocean ist einer dieser Kandidaten von Trainer Stoute, die erst mit vier Jahren oder älter ihren Zenit erreichen. Dreijährig Zweiter im englischen St. Leger, ist er in dieser Saison noch ungeschlagen und gewann zuletzt die Gruppe 2-Hardwicke Stakes. Der Sieg fiel sehr souverän aus, auch wenn der vermeintlich stärkste Gegner Idaho enttäuschte.
Poet’s Word rang zuletzt in den Prince of Wales’s Stakes den hohen Favoriten Cracksman nieder und ist ein sehr konstantes Pferd. Cracksman hat in diesem Jahr noch nicht ganz an seine famose Form aus dem Vorjahr angeknüpft, vielleicht bereitet ihn Trainer John Gosden ja auch auf eine erfolgreiche Herbstkampagne vor. Interessant finde ich noch Waldgeist, der Sohn der Monsun-Tochter Waldlerche. Im Grand Prix de Saint Cloud (Gruppe 1) besiegte er die gute Gosden-Stute Coronet (ebenfalls noch eine Nennung) und untermauerte mit dem dritten Erfolg in Serie seinen Aufwärtstrend. Am liebsten wäre mir in seinem Fall jedoch, dass es vorher noch etwas regnet, damit der Boden wenigstens gut bis weich wäre.
Tipp Waldgeist

Goodwood Cup, Dienstag 31. Juli 2018, Goodwood
Eines dieser in England so beliebten Rennen über ganze lange Distanzen, in diesem Fall sind es über 3200 Meter. Klarer Favorit ist Stradivarius aus dem Stall von John Gosden, zuletzt knapp erfolgreich im Ascot Gold Cup und davor souveräner Sieger im Yorkshire Cup. Das war alles überzeugend, aber der Kurs ist entsprechend tief. Alternativen? Torcedor lief in Ascot das wohl beste Rennen seines Lebens und war als Dritter mit einer Länge Rückstand gar nicht weit geschlagen. Seit 2017 wird der Fastnet Rock-Sohn von Jessica Harrington trainiert, seitdem ist er – bis auf den Flop in Meydan – ein sehr beständiges Pferd.



Das Wetter war schlecht, der Sieg grandios: Big Orange siegt Start-Ziel im Goodwood Cup 2016.

Mir aber gefällt Withhold besser. Der Schützling von Trainer Roger Charlton gewann im letzten Jahr völlig souverän das Cesarewitsch-Handicap in Newmarket über weite 3600 Meter und siegte bei seinem Jahresdebüt in der Northumberland Plate in Newcastle ebenfalls überzeugend. Das sind zwei der schwersten Handicaps des britischen Turfjahres und es bedarf schon eines sehr guten Pferdes, diese so zu dominieren. Der Sprung in die Gruppe 1-Klasse ist groß, aber Withhold ist deutlich besser als ein Handicapper. Sein Trainer hatte immer ein gutes Händchen für diese Art Pferde.
Tipp Withhold

Sussex Stakes, Mittwoch 1.8.2017 Goodwood
1600 Meter, Gruppe 1 – und alles dreht sich um Without Parole. Der Frankel-Sohn ist nach drei Starts noch ungeschlagen und gewann zuletzt die St. James Palace Stakes in Royal Ascot. Gustav Klimt fand da noch gut ins Rennen, erreichte aber den Sieger nicht. Das Rückspiel folgt in Goodwood, doch es wird nicht einfach: Im Feld sind noch mehrere bewährte ältere Pferde wie Beat The Bank, Lightning Spear oder Rhododendron. Letztere hat jedoch noch Nennungen in anderen Prüfungen des Festivals, zum Beispiel in den Nassau Stakes (Gruppe 1, 2000 Meter). Beat The Bank hat in diesem Jahr wieder zu guter Form gefunden und ist unsere Empfehlung.
Nachgenannt wurde Expert Eye, überlegener Sieger in den Jersey Stakes. Im Stall von Sir Michael Stoute hatte man immer eine hohe Meinung, sein Erfolg zweijährig in Goodwood bestätigte diese auch. Doch danach folgten einige Enttäuschungen in Top-Prüfungen, bis der Knoten in Ascot wieder platzte. Ein interessanter Kandidat, der dem Rennen zusätzliche Würze gibt.

Tipp Beat The Bank

26.07. Nachtrag zum King George
Unser Tipp Waldgeist wird nicht im King George laufen. Trainer Andre Fabre nahm ihn aus dem Rennen, weil der Boden zu trocken ist. Nichtstarter wird ebenfalls Kew Gardens sein, dafür soll Cracksman starten, wenn es vorher geregnet hat. Das bestätigte Trainer John Gosden.



Montag, 16. Juli 2018
WM 2018: Der Star waren die Standards
Die Fußball-WM 2018 in Russland ist Geschichte und natürlich war sie laut Fifa-Boss Infantino die „beste aller Zeiten.“ Für den deutschen Fußball war sie eine Katastrophe, andere Länder aber feierten. Allen voran der neue Weltmeister Frankreich.

Es regnete in Strömen, als die Offiziellen den Sieger Frankreich ehrten. Der Himmel weinte, nur für Wladimir Putin fand sich schnell ein Schirmhalter. FIFA-Chef Gianni Infantino und die anderen Wichtigen aber wurden erst einmal nass. Die FIFA im Regen, was ein schönes Bild. In Russland hat eben nur einer das Sagen – der ehemalige KGB-Agent Putin.
Es waren aufregende vier Wochen in Russland. Natürlich ist alles Gigantismus und Kommerz pur, aber dennoch kann der größte Kritiker sich nicht der Faszination der WM entziehen, wenn die Spiele laufen. Autokrat Putin, korrupte Fifa, Geldverschwendung sind dann alles vergessen. Russland ist ein gastfreundliches Land mit vielen netten Leuten – Fazit eines Daheimgebliebenen. Aber eine Demokratie ist Russland eben nicht.

Woran wird man sich später erinnern?
An eine sehr ausgeglichene WM. Viele Toren fielen nach Standards: Ecken, Freistößen und Elfmetern. Die Mannschaften, die das offenbar trainiert hatten wie die Engländer, profitierten. Der Star war eindeutig die Mannschaft, die guten Individualisten hatten sich in ihren Dienst zu stellen. Das beste Beispiel war Weltmeister Frankreich, der desolate Ex-Weltmeister Deutschland präsentierte sich über weite Strecken als schlecht organsierte Ansammlung von Individualisten.

Der Weltmeister
Sexy war das nicht unbedingt, was das Team von Didier Deschamps auf den Rasen brachte. Aber mit Zauberfußball wurde Brasilien zuletzt 1970 Weltmeister – und selbst der Kolumnist war dafür zu jung. Frankreich setzte auf die einst von Otto Rehhagel erfundene „kontrollierte Offensive“, prasentierte sich defensiv gut organisiert und hatte fleißig Standards trainiert. Für Frankreich 2018 stand Angreifer Olivier Giroud, der gefühlt mehr am eigenen als im gegnerischen Strafraum auftauchte. Ihr Taktgeber war der famose N’golo Kante im defensiven Mittelfeld. Aber die Equipe Tricolore verfügte auch über großartige Individualisten wie Paul Pogba, Antoine Griezmann und Kylian Mbappé. Es war die perfekte Mischung.

Der Finalist
Vorweg: Ich mag diese häufig aggressive Art der kroatischen Mannschaft und ihrer Hardcore-Fans nicht. Der Fußball wird von der Politik instrumentalisiert – das war immer so in der noch jungen Geschichte des Landes. Das ist aber nicht nur dort so.
Aber Kroatien mit seinem Ausnahmespieler Luka Modric spielte eine großartige WM, überstand drei Verlängerungen und zwei Elfmeterschießen und brachte ein ganzes Land zum Rasen. Auch wenn die kleine Nation genug Probleme hat. Mein Glückwunsch.

Die Überraschungen
Da hatte mal ein Trainer-Team seine Hausaufgaben gemacht: Gareth Southgate hatte die Engländer großartig in Schwung gebracht, das Mutterland des Fußballs verlor erst im Halbfinale. Und was die angeblich so goldene Generation um Beckham, Scholes, Ferdinand und Owen nicht schaffte, gelang Kane, Maguire und Freunden. Aber vielleicht lag es auch daran, dass sie mit Pickford endlich wieder einen guten Torhüter hatten.
Belgiens Lauf war hingegen keine Überraschung, die Jahrhundertelf des kleinen Landes verlor erst im Halbfinale. Und noch ein Wort zu einem Team, dass in der Vorrunde ausschied: Der Iran gewann erst sehr glücklich gegen die ebenfalls unter Wert geschlagenen Marokkaner und hatte dann viel Pech gegen die europäischen Giganten Portugal und Spanien. Obwohl sich der amtierende Europameister und der Weltmeister 2010 im Verlauf des Turnieres eher als Zwerge entpuppten.

Die Enttäuschung
Der größte Flop war leider der amtierende Weltmeister Deutschland. Die „Mannschaft“ (Slogan Best never rest) konnte nur in der zweiten Halbzeit gegen Schweden überzeugen, ansonsten aber wirkte das Team von Joachim Löw als Ansammlung von Individualisten ohne System und schied schon nach der Vorrunde gegen Mexiko, Schweden und Südkorea aus. Und sorgte damit für Schockzustände, denn der gemeine deutsche Fußball-Fan kennt das gar nicht: Scheitern in der Vorrunde, eine WM ohne Deutschland, wenn es spannend wird. Trainer Löw hatte versagt, die meisten Spieler ebenfalls. Löw macht aber weiter, Mesut Özil vielleicht nicht. Peinlich war das Nachtreten von Nationalmannschaft-Manager Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel gegen den Arsenal-Akteur allemal. Auch wenn dieser nicht gut spielte und sein Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan eine Peinlichkeit hohen Grades war. Das gilt selbstverständlich ebenfalls für den Kollegen Ilkay Gündogan.

Und die Brasilianer?
Nach dem Viertelfinale raus – für das Land, für das nur der Weltmeister-Titel zählt, enttäuschend. Aber die Selecao verabschiedete sich mit Applaus, es war die beste brasilianische Mannschaft seit langem. Das 1:2 gegen Belgien war eine tolle Partie, eine Art vorgezogenes Finale. Belgien spielte stark, aber Brasilien scheiterte mit viel Pech. Sie vergaben beste Chancen, der belgische Keeper war sensationell und dann wurde ihnen auch noch ein Elfmeter verweigert. Da sind sie aber auch selbst ein wenig Schuld, denn die Schauspieleinlagen von Neymar waren nicht nur schlecht, sondern unerträglich.



Halbfinale Kroatien gegen England – so war das beim Rudelgucken. Zum Schluss zündeten die Kroaten die Pyros.