Donnerstag, 21. August 2014
Australia brilliert, Taghrooda geschlagen
Halbzeit beim Ebor-Festivals in York: Das beste Flachmeeting des Jahres im englischen Norden bleibt hochattraktiv. Von den vierbeinigen Top-Stars auf der Insel fehlte eigentlich nur Top-Miler Kingsman. Derbysieger Australia siegte am Mittwoch in den Juddmonte Stakes, Oaks- und King George-Heldin Taghrooda unterlag hingegen am Donnerstag in den Yorkshire Oaks. Top-Sprinter Sole Power startet am Freitag in den Nunthorpe Stakes. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz.

Australia
Meine Wahl war Australia nicht unbedingt. Zum einen, weil ich keine Pferde unter 20 wette, denn es gibt im Rennsport keine Unverlierbaren gibt (außer sie heißen Frankel). Auch andere Aspekte sprachen gegen den Schützling von Aidan O’Brien: Die eher skeptischen Töne des Trainers, dass sein Schützling dieses Rennen vielleicht benötigen könne. Die Distanz von 2000 Metern, die für den Top-Steher etwas kurz sein könnte. Zudem verlieren viele O`Brien-Pferde oft nach einem harten Frühjahr im Spätsommer ihre Form.
Meine Tipps waren jedenfalls Mukhadram, Gruppe 1-Sieger in den Eclipse über diese Distanz, dazu der mal wieder sträflich unterschätzte The Grey Gatsby, immerhin Sieger in den Dante Stakes und dem französischen Prix de Jockey Club.
Alles Essig, denn Australia gewann völlig leicht und scheinbar ohne große Anstrengung, immerhin lief The Grey Gatsby ein großes Rennen und wurde Zweiter, war aber chancenlos gegen den englischen und irischen Derbysieger.
„Er war gerade rennfertig nach seiner Sommerpause“, so O’Brien im Interview danach bei Racing UK. Australia, dieses Pferd mit dieser so noblen Abstammung, genoss immer eine große Wertschätzung beim Trainer, der schon etliche Größen in seiner Laufbahn trainiert hatte. Und dieser Erfolg war eine besondere Genugtuung: Oft wirkt O’Brien in seinen Reaktionen nach einem Erfolg nur wenig emotional. Diesmal wirkte er regelrecht aufgedreht.
„Er hatte nie eine Chancen zu reifen nach diesem anstrengendem Frühling“, sagte der Trainer weiter. Hart für die Klassiker trainiert, dazu waren viele Pferde aus dem Quartier krank zu dieser Zeit – das hinterließ offenbar Spuren.
Es war eine harte Zeit – und was kommt jetzt? Leopardstown im September, der neue Irish Champions Day, lautet offenbar das nächste Ziel. Und nicht der Arc, wo er wahrscheinlich auf Sea The Moon getroffen hätte. Und manche große Namen aus dem Ballydoyle-Quartier sind im Arc untergegangen.

Juddmonte International Stakes 2014

Taghrooda
Wie war das noch mal mit den Uuverlierbaren im Turf? Es gibt sie einfach nicht, nächster Beweis war 12:10-Chance Taghrooda in den Yorkshire Oaks. Nach Form stand die zweifache Gruppe 1-Siegerin deutlich über der Konkurrenz, doch am Ende unterlag sie Tapestry aus dem Ballydoyle-Quartier von Aidan O’Bien mit einer halben Länge.
„Keine Entschuldigung”, erklärte Trainer John Gosden danach. Sie traf einfach auf eine bessere Gegnerin an diesem Tag. Beide waren zudem weit vom restlichen Feld entfernt.
Gründe für die Schlappe? „Das King George ist doch ein hartes Rennen“, erklärte Hindernisjockey Ruby Walsh, an diesem Tag Experte bei Racing UK. Denn auch Mukhadran und Telescope, Dritter und Zweiter in Ascot hinter der Stute, liefen am Mittwoch im Juddmonte eher schwach.
Siegerin Tapestry war im Frühjahr immerhin als Favoritin in die englischen 1000 Guineas gegangen, doch dort landete sie auf dem letzten Platz. Doch danach ging es aufwärts, in den irischen Oaks war sie nur mit einem Hals von der Stallgefährtin Bracelet geschlagen.
Dennoch kommt der heutige Erfolg überraschend. Ryan Moore gab der Siegerin einen gut getimten Ritt, folgte immer der Favoritin und hatte dann am Ende knapp die Nase vorn. „Die Jungs haben einen wunderbaren Job gemacht“, lobte O’Brien sein Team.

Yorkshire Oaks 2014



Donnerstag, 14. August 2014
Was Joe Fanning und Andreas Löwe verbindet
Natürlich ist die Turfsaison noch lange nicht beendet. Aber wenn mich später jemand fragt, wer mir in der Saison 2014 am meisten auffiel, dann würde ich definitiv Trainer Andreas Löwe aus Köln und Jockey Joe Fanning aus England antworten. Beide eint, dass sie schon sehr lange im Geschäft sind. Beide erlebten auch schon härtere Zeiten. Doch Qualität setzt sich eben durch. Sowohl der deutsche Trainer als auch der englische Jockey haben es verdient, dass sie diese Kolumne kurz portraitiert.

Der Altmeister
2014 ist bislang ein großartiges Jahr für Andreas Löwe: Der Gruppe 1-Sieg von Sirius am Sonntag in Hoppegarten war ein weiterer Erfolgs-Meilenstein für den Kölner Trainer.
21 Siege bei nur 62 Starts lautet die bisherige Saison-Bilanz in Deutschland (Stand 12. August), das ist ein unglaublicher Sieg-Schnitt von fast 34 Prozent. Anders ausgedrückt: Jedes dritte Pferd, das Löwe und sein Team satteln, kam in diesem Jahr als Sieger zurück. Zum Vergleich: Markus Klug, der Führende in der Statistik, kommt auf einen ebenfalls glänzenden Schnitt von 27,91 Prozent, andere deutsche Top-Quartiere erreichen Werte von 22,55 Prozent (Waldemar Hickst), 21,66 Prozent (Andreas Wöhler) oder 17,77 Prozent (Peter Schiergen). Alles nicht schlecht, doch blass gegenüber den Löwe-Werten.
„Wir sind stolz auf unsere Pferde“, schrieb Andreas Löwe auf der gut sortierten Homepage des Stalles. Typisch für ihn ist die Betonung des „wir“, denn bei jeder Gelegenheit lobt der Trainer seine Frau, Mitarbeiter und Besitzer. Nicht er, sondern das Team ist der Star.
Seit 1981 trainiert Löwe, Geburtsjahr 1942, Vollblutpferde. Im letzten Jahr hatte er laut Stallparade der Fachzeitschrift Sport-Welt mal Rücktritts-Gedanken, doch dann folgte ein erfolgreicher Herbst 2013 und er machte weiter. Auch weil seine Besitzer das so wollten.
Da ahnte noch niemand, wie erfolgreich 2014 werden sollte. Seit Beginn der Grasbahnsaison stimmte die Stallform und hält quasi bis heute. Mit Lucky Lion trainiert Löwe ein Ausnahmepferd auf Distanzen von der Meile bis zu 2000 Metern. Der Hengst beeindruckte ungemein bei seinen Erfolgen im klassischen Mehl-Mülhens-Rennen und dem Münchner Gruppe 1-Großen Dallmayr-Preis. Auch über 2400 Meter im Derby lief er hervorragend, nur traf er da auf einen Ausnahmekönner wie Sea The Moon. Nicht nur diese Kolumne hatte Zweifel am Stehvermögen des High Chaparal-Sohnes, sein Trainer hingegen nicht.
Der bereits genannte Sirius, Rapido und die Stuten Indian Rainbow und Diamond Dove sind weitere hochbegabte Vertreter des Derby-Jahrganges, von den älteren Semester punktete zudem Amaron auf Top-Ebene regelmäßig.
Andreas Löwe hat nie für die großen Ställe trainiert, doch viele seiner Besitzer sind ihm schon seit Jahren verbunden. Seine größten Erfolge feierte er in den Jahren zuvor mit Stuten wie Mystic Lips, Lips Poison, Shapira oder Portella in den deutschen 1000 Guineas oder der Diana. Sehr gute Hengste waren vor dieser Saison der Top-Meiler Sehrezad und der unverwüstliche Protektor.
Noch mehr persönliche Erinnerung habe ich allerdings an Lierac, den ich einst im Derby zu hohen Quoten gewettet hatte und der mir fast den Atem nahm, als er im Derby 2001 auf einmal chancenreich außen auftauchte. Gegen Boreal gab es dann doch kein Ankommen, aber immerhin noch eine lukrative Platz-Quote. Leider hatte Lierac viel Verletzungspech und konnte diese Form nie wieder zeigen.



Joe Fanning in Hochform: Der Sieg mit Universal in den Jockey Club Stakes in Newmarket. Zu den geschlagenen Pferden gehörte auch ein gewisser Noble Passion

Tempo-Kenner und ein großer Kämpfer
Der Erfolg mit Amralah am Samstag in den englischen Rose of Lancaster Stakes in Haydock zeigte eindrucksvoll die große Stärke des Joe Fanning: Kein anderer Jockey reitet ein Rennen so gut von der Spitze aus wie er, nur wenige haben dieses Tempogefühl und diesen Kampfgeist. Die 150:10-Chance Amralah aus dem Mick Channon-Stall schickte Fanning direkt an die Spitze der Gruppe 3-Prüfung, ließ die Stute marschieren und dominierte Feld und Tempo.
Nun ist das mit dem Rennen an der Spitze oftmals so eine Sache: Irgendwann kommen die „Räuber“ und ziehen vorbei, das Pferd hat die Arbeit gemacht und geht leer aus. Viele Jockeys gehen das Rennen zu schnell an und wenn dann alle an einem vorbeiziehen, sieht man nicht gerade gut aus.
Doch Fanning ist ein Meister des richtigen Tempos. Je älter er wird, desto besser beherrscht er diese Taktik. An Amralah kam jedenfalls niemand vorbei – auch nicht der hoch eingeschätzte Hillstar aus dem Quartier von Sir Michael Stoute. Immer wieder fand die Stute neue Reserven, der Sieg war letztlich sicher.
Dreimal siegte der Jockey an diesem Nachmittag, aber erstaunlicherweise kein einziges Mal für seinen Patron Mark Johnston. Der 44jährige Fanning passt dabei hundertprozentig zur bevorzugten Taktik der Johnston-Pferde. Der Schotte lässt seine Pferde gerne von vorne laufen und oft ist an ihnen nur schwer vorbeizukommen, weil sie viel Kampfgeist und Willen zeigen. „A typical Mark Johnston-horse“, sagen dann immer die Experten. Zuletzt in Goodwood waren diese Tugenden mal wieder einige Mal zu bewundern – und oft war Joe Fanning der Mann im Sattel.
Der gebürtige Ire aus dem County Wicklow, der 1990 sein erstes Rennen in England gewann, zählt zu den oftmals unterbewerteten Charakteren der Jockey-Szene. Denn wie vielen seiner Kollegen aus Nordengland fehlen ihm die „Glamour-Erfolge“. So hat Fanning in seiner langen Karriere noch nie ein Gruppe 1-Rennen gewonnen, dabei muss er sich vor den Top-Jockeys wie Ryan Moore, Richard Hughes oder William Buick keineswegs verstecken.
Überhaupt ist das bei ihm wie mit ausgewählten Weinen: Je älter, desto besser. Seit 2009 hat er in jedem Jahr über 100 Rennen gewonnen; 2012 waren es sogar 188; 2012 auch noch 156 Erfolge. In diesem Jahr führt Fanning aktuell mit 130 Erfolgen die englische Jockey-Statistik vor Adam Kirby und Ryan Moore an. Und vielleicht reitet er ja auch irgendwann mal für Andreas Löwe.



Mittwoch, 6. August 2014
Und darauf einen Ahlenfelder .....
Der Spruch tauchte erstmals bei Frank Goosen auf. „Woanders is’ auch scheiße“ ließ der Bochumer Autor einst eine seiner Figuren sagen und schuf damit einen Spruch, der das Selbstverständnis des Ruhrgebietlers präzise trifft. Und der sich schnell verbreitete. Aber musste Tim Sohr sein Buch so betiteln? Schon der erste Negativpunkt.
In seinem Werk geht es um das Groß werden im Ruhrgebiet der neunziger Jahre und dabei spielt der lokale Fußballklub Fortuna eine wichtige Rolle. Denn die Bezirksportanlage am Waldweg in Diepenbusch, einem Kaff in der Nähe von Dortmund, prägt die Entwicklung des Protagonisten Karlheinz, genannt Kalli, Borowski entscheidend.

Inhalt
Kalli Borowski träumt von der WM 2006: Im Finale gegen Argentinien schießt er das entscheidende Tor. Kalli wächst im Ruhrgebiet der 90er Jahre auf und spielt seit der D-Jugend für die Fortuna aus Diepenbusch. Die rote Asche wird sein ständiger Begleiter, im „örtlichen Fußballverein lernt er das echte Leben kennen“ (Klappentext). Der Fußball und die Mannschaft geben ihm Selbstvertrauen.
Das Buch begleitet den Helden von der D- bis zur A-Jugendzeit, also quasi durch Pubertät und Teenagerzeit. Kalli ist nicht nur ein flinker Linksverteidiger, er entdeckt im Laufe der Zeit auch Mädchen (Freundin Melanie), Zigaretten und Alkohol. Letzteres bleibt im Amateurfußball fast unausweichlich, weil dort alle saufen. Der „Ahlenfelder“, benannt nach dem kürzlich verstorbenen Ex-Bundesliga-Schiedsrichter, bestimmt das Vereinsleben. Es handelt sich um ein Gedeck aus Bier und Malteser – und spätestens in der B-Jugend mischen dabei auch Kalli und seine Freunde munter mit.

Positiv
An einigen Stellen ist das Buch wunderbar witzig, manche Charaktere wie der Vereinsboss Paschke, der sich nach seinem Tod als Dortmunder Rotlicht-Größe entpuppte, oder der Vereinswirt und spätere Assistenztrainer Manni sind gut getroffen. Jeder, der mal in einem Verein Fußball gespielt hat, kennt diese Typen. Und das Ruhrgebiet bietet viele davon – Typen, die fast schon aus dem Klischee-Baukasten stammen können. Aber es gibt sie wirklich. Das Vereinsleben charakterisiert Sohr teilweise großartig.

Negativ
Leider hält Sohr das Level nicht, manches wirkt ziemlich aufgesetzt und ein wenig oberlehrerhaft – etwa wenn er die Musik der 90er beschreibt. Und auch wenn es Fiktion ist, manche fußballtechnische Aspekte sind schlecht recherchiert. So pfeift in der A-Jugend nicht mehr der Vater eines Spielers, sondern ein „echter“ Schiedsrichter. Auch spielen B-Jugend und A-Jugend in Nordrhein-Westfalen nicht Samstag, sondern am Sonntag.
Und in welcher Liga spielt die Fortuna? Überkreislich wohl nicht, denn es gibt genug Lokalderbies. Im Kreis gibt es nur Kreisklassen, meist 1 und 2, und Sonderklassen.
Schwer vorstellbar ist zudem, dass auf diese Kreisliga-Spiele in Wettbüros gewettet wird. Zumal in den neunziger Jahren noch nicht einmal Wettbüros für Fußballwetten gab. Noch nicht mal Oddset war auf dem Markt. Wer abseits des Totos wetten wollte, war auf Buchmacher in Österreich oder England angewiesen.
In den Bereich Fiktion fällt zudem, dass ein Bundesligist einen 16/17jährigen in der Kreisliga entdeckt. Das gab es selbst in den 90er Jahren nicht mehr. Wer damals gut war, hatte schon frühzeitig Angebote. Aber Borowski verzichtet ja auch wegen Melanie auf seine Profikarriere und geht mit ihr nach Berlin.

Urteil
Abgesehen von obigen pedantischen Einwürfen ist „Woanders is’ auch scheiße“ die passende Lektüre für lange Sommerabende. Man sollte allerdings die gleiche Sozialisation wie der Autor haben und im Ruhrgebiet mit dem Amateur-Fußball aufgewachsen sein.