Samstag, 28. Juni 2014
Ihr müsst nach Hause fahren
Der erste Abend ohne Fußball seit über 14 Tagen, da kommt man sofort auf andere Gedanken. Zum Beispiel über die Enttäuschungen der Fußball-WM in Brasilien zu schreiben. Denn große Fußball-Nationen fehlen in den nächsten Wochen, wenn es ernst wird. Der noch amtierende Fußball-Weltmeister Spanien etwa. Oder Italien oder England. Die Flops dieser WM.

Spanien: Das Ende einer großen Generation. Der amtierende Welt- und Europameister verabschiedete sich schon nach zwei Niederlagen gegen die Niederlande und Chile in der Vorrunde. Beim 1:5-Debakel gegen Oranje stellte Taktikfuchs Louis van Gaal die Iberer ins Abseits, beim 0:2 gegen Chile scheiterte La Roja an der forschen und agressiven (aber nicht unfairen) Spielweise der Südamerikaner. Ob ob es jetzt Tiki Taka heißt oder nicht – das schnelle Passspiel vergangener Jahre funktionierte nicht mehr. Die Taktgeber vergangener Epochen wie Xavi, Xabi Alonso und Iniesta sind in die Jahre gekommen. Zudem patzten die einstigen Helden wie Torhüter Casillas und Innenverteidiger Sergio Ramos.
Was sich schon beim FC Barcelona in dieser Saison ankündigte, zeigte sich in Brasilien: Der Zauber ist vorbei. Wenn es ein Team wie Spanien schon mit langen Bällen probiert, dann ist das ein Akt der Verzweiflung.
Dazu passte der neu eingebürgerte Torjäger Diego Costa überhaupt nicht ins System. Zum einen war er nicht richtig fit, zum anderen ist er überhaupt nicht passkompatibel und lebt viel von langen Bällen in die Spitze. Und das kann das Team von Vicente del Bosque überhaupt nicht.

Italien: Natürlich war beim Scheitern der Italiener viel Pech dabei. Der Platzverweis von Marchisio im letzten Spiel der Vorrunde gegen Uruguay war eine viel zu harte Entscheidung des mexikanischen Schiedsrichters, auf der anderen Seite hätte Suarez nach seiner Beißattacke gegen Italiens Chiellini runter gemusst. Zudem ist der Einwand von Trainer Cesare Prandelli berechtigt, dass Italiens erst in Manaus und dann die nächsten Spiele im heißen Norden zur brasilianischen Mittagszeit bestreiten musste. Das kostete Kraft.
Der Auftakt gegen England war gut, doch danach ging es abwärts. Die Vorstellungen gegen Costa Rica und Uruguay waren „apathisch“ (kicker), nur zwei echte Torchancen in diesen Spielen sind eine beschämende Bilanz.
Am stärksten wirkte noch Altmeister Pirlo, dessen Pässe immer noch ein Gedicht sind. Aber sonst war Italien vielfach nicht mehr als Mittelmaß. Balotelli bleibt eine Wundertüte, „Meriten verdient man auf dem Platz, nicht mit großen Ankündigungen“, kritisierte Torhüter Gigi Buffon und nannte das Ausscheiden „verdient“.

England: Vielleicht ein Trost, liebe Freude aus England, auch wenn das Ausscheiden in der Vorrunde einer WM für das Mutterland des Fußballs eine Demütigung ist. Also ich fand, dass diese englische Mannschaft die beste war, die seit langen Zeit das Dress mit den drei Löwen trug.
Leider gehört dazu nicht viel. Die Vorstellungen seit 2002 bei Welt- und Europameisterschaften waren eine Katastrophe: Stereotyper Kraftfußball ohne Fantasie, dazu patzten regelmäßig die Torhüter.
Diesmal zeigte die Mannschaft spielerisch einige gute Ansätze, Typen wie Sturridge und Sterling machten das englische Spiel attraktiver. Wayne Rooney mag intellektuell keine große Leuchte sein, aber er ist immer noch ein fantastischer Fußballer. Dass er auf der Seite verschenkt ist, ist richtig. Und dass ihn der Boulevard immer besonders aufs Korn nimmt, ist traurig.
Die Niederlagen gegen Italien und Uruguay waren unglücklich, beide Spiele hätten auch anders ausgehen können. Aber mit dem Weltmeistertitel hat doch selbst die Boulevardpresse nicht gerechnet.

Portugal: Wenn Cristiano Ronaldo nicht richtig fit ist, verkörpert die portugiesische Nationalmannschaft höchstens Durchschnitt. Und wenn dann Pepe, der andere Weltklasse-Spieler, mal wieder den Psycho mimt, dann ist das Scheitern bei einer WM nicht zu vermeiden. Deutschland bestrafte die Fehler der zehn Portugiesen höchsteffizient, auch weil Pepe früh die rote Karte sah. Gegen die USA war das Remis sehr schmeichelhaft, der Erfolg gegen Ghana zudem sehr glücklich.



Fußball und Lego – originelle Idee des englischen Guardians. Hier gibt es noch einmal eine Zusammenfassung des Spieles Deutschland gegen Portugal, ein Höhepunkt ist die Attacke von Pepe gegen Thomas Müller. Man beachte zudem die putzige Aussprache der deutschen Spielernamen: Hammels, the big defender…

Russland: Fabio Capello mag einer der bestbezahlten Nationaltrainer der Welt sein, aber als russischer Nationaltrainer ist er sein Geld definitiv nicht wert. Seine Mannschaft wirkte in Brasilien weitgehend leblos, gestopft in ein wenig flexibles Defensiv-Konzept. Nun war Capello immer ein Freund der gepflegten Abwehr, aber früher trainierte er auch Teams mit viel besseren Individualisten. Jedenfalls blamierte sich der Ausrichter der WM 2018 gegen Belgien, Südkorea und Algerien gewaltig. Der russische Fußball bleibt ein Rätsel – auch wenn Fabio Capello andere Dinge für das Scheitern verantwortlich macht.

Japan und Südkorea: Beide Länder dominieren seit Jahren das Geschehen in Asien, qualifizieren sich regelmäßig und ohne große Probleme für Weltmeisterschaften. Doch Brasilien war sowohl für Japan als auch Südkorea ein Desaster.
Besonders Japan hatte sich im Vorfeld einiges ausgerechnet – auch weil viele Spieler sich in Top-Ligen durchgesetzt haben. In Dortmund gucken wir seit den glorreichen Tagen des Shinji Kagawa im BVB-Dress verstärkt auf das Team, doch Kagawa blieb wie bei Manchester United auch im Nationaldress blass. Japan zeigte zwar einige Ansätze, doch wenn es zur Sache ging, hatte das Team nichts zuzusetzen.
Nicht ganz so hoch waren die Erwartungen bei Südkorea. Doch auch der WM-Vierte von 2002 – gespickt mit vielen Spielern aus der der Bundesliga – blieb sieglos und zeigte besonders in der Abwehr eklatante Schwächen.

Kamerun: Die „unbezähmbaren Löwen“ blamierten sich in Brasilien gewaltig. Mit null Punkten und 1:9-Toren war Kamerun das schlechteste Team der Vorrunde, alte Helden wie Roger Milla rufen nach einem Neuanfang. Dabei hat die Mannschaft von Volker Finke starke Individualisten, aber als Gruppe versagten die Spieler. Das erste Spiel verlor man verdient gegen starke Mexikaner, im zweiten Spiel war die Mannschaft gegen Kroatien gleichwertig, bevor Alexandre Song mit seinem Platzverweis das Team dezimierte. Danach brach Kamerun völlig auseinander, der negative Höhepunkt war der Kopfstoß von Assou-Ekotto gegen einen Mitspieler. Gegen den Top-Favoriten Brasilien wehrten sich die Löwen zumindest eine Hälfte, doch auch danach fiel man auseinander. Erbärmlich.



Donnerstag, 26. Juni 2014
Klinsi, Udo und das Saxophon
Zugegeben, dieses Video ist nichts für Zartbesaitete. „Wir sind schon auf dem Brenner – wir brennen schon darauf“, sang 1990 Barde Udo Jürgens einst mit der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft. So gestählt fuhr das Team von Teamchef Franz Beckenbauer nach Italien und wurde bekanntlich Weltmeister. Und einer dieser Weltmeister hieß Jürgen Klinsmann und der ist auf diesem Dokument die langhaarige blonde Stimmungskanone. Man beachte seinen Einsatz beim Saxophon-Solo, später rockt er gemeinsam mit seinem damaligen Sturmpartner Rudi Völler.
Heute heißt es „Wir gegen uns“, denn Jürgen Klinsmann trifft als Nationaltrainer der USA auf seinem ehemaligen Assistenten und Freund Joachim Löw, bekanntlich Trainer des deutschen Teams und eben Nachfolger dieses Jürgen Klinsmanns. Ich mochte „Klinsi“ immer, weil er seinen eigenen Kopf hatte und Bild und Lothar Matthäus nicht mochte. Da konnten ihn das Springer-Blatt und seine Ableger immer schön in den Senkel stellen, er ignorierte diese Leute einfach. Und „flipperte“ die Bälle weiter rein.
„Auch wir sind dabei – Hollahihollaho“, dichtete der Udo. Und Klinsmann machte in Italien im Achtelfinale gegen die Niederlande das Spiel seines Lebens. Das musste auch Lothar Matthäus zugeben.




Mittwoch, 25. Juni 2014
In eigener Sache
Wem diese Seiten derzeit etwas „nackt“ vorkommen, der liegt richtig. Bei Blogger.de, dem Host dieser Seite, gab es einen Festplatten-Crash, dem ein Großteil der Fotos zum Opfer fielen. Diese Fotos sind dort also weg, die meisten meiner Bilder habe ich aber noch auf meiner Festplatte. Wenn ich mal wieder etwas mehr Zeit habe, werde ich das zumindest bei den neueren Texten reparieren.



Ein Biss zuviel
Es ist bislang eine Weltmeisterschaft der Südamerikaner: Brasilien erwartungsgemäß Gruppensieger, Kolumbien ebenfalls ungeschlagen, Argentinien zwar nicht schön, aber auch siegreich, Chile kickt Spanien raus und natürlich Uruguay. Die „Celeste“ besiegelte das Vorrunden-Aus der europäischen Fußballgrößen England und Italien. Dabei hatten viele die Mannschaft nach der überraschenden Auftakt-Niederlage gegen den späteren Gruppensieger Costa Rica schon abgeschrieben. Doch das Ergebnis spielte danach keine große Rolle mehr.

Erinnerungen an alte Treter-Tage wurden wach. Es war die 79. Minute, da zeigte Italiens Giorgio Chiellini auf einmal seine Schulter. Sie blutete ein wenig. Vorausgegangen war eine Rangelei mit Uruguays Stürmer Luis Suarez. Der hielt sich die Zähne vor angeblichen Schmerzen. Doch das war Show, er war der Übeltäter: Suarez hatte wieder zugebissen wie einst bei Liverpool und Ajax Amsterdam, nur der Schiedsrichter und sein Assistent hatten nichts gesehen.
Der Stürmer ist ein Genie im Strafraum. Seine beiden Tore gegen England zeigten das eindrucksvoll. Die andere Seite des Luis Suarez erinnert an alte südamerikanische „Tugenden“. Wie man gewinnt ist egal, um zu siegen, ist jedes Mittel erlaubt, das den Gegner provoziert und aus dem Rhythmus bringt.
„Suarez braucht Hilfe“, schrieb der englische Telegraph. Weil das, was er mache, letztendlich selbstzerstörend sei. Die FIFA wird den Vorfall untersuchen, wahrscheinlich werden sie den Spieler sperren. Damit wird Uruguay ein Akteur fehlen, der den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen kann. Bei der Niederlage gegen Costa Rica fehlte Suarez.
Das Presseecho war gewaltig, besonders die englische Boulevard-Presse wütete. „Der Vampir kehrt zurück. Drei Bisse und du bist draußen. Diesmal kann es keine zweite Chance geben, keine Vergebung, keine Behauptung, er habe sich geändert“, forderte der Mirror.
Dagegen fühlten sich die Uruguayer verfolgt und witterten ein Komplott. „Das ist eine Fußball-Weltmeisterschaft, es geht hier nicht um billige Moral“, entrüstete sich Uruguays Trainer Oscar Tabarez. „. ….Suarez, trotz aller Fehler, die er macht, ist das Ziel gewisser Medien und Zeitungen, die nur auf eine neue Verfehlung von ihm warten. Über seine Fehler wird viel mehr berichtet als über seine sportlichen Leistungen.“
Uruguay gegen Italien in Natal – das war am dritten Vorrundenspieltag der Gruppe D lange Zeit Folter pur für den neutralen Beobachter. Italien reichte ein Unentschieden, die Südamerikaner mussten gewinnen – doch das Team von Oscar Washington Tabarez begann verhalten. Es war ein verbissener Kampf, fast jede Aktion endete mit einem Foul. Chancen blieben Mangelware.
Spätestens nach der unberechtigten Roten Karte für Italiens Marchisio bekam Uruguay Oberwasser, verstärkte die Offensivanstrengungen. Und wurde belohnt: Kurz nach der Beißattacke köpfte Diego Godin zum 1:0-Sieg ein.

Bollwerk
Es gibt einige Mannschaften bei dieser Weltmeisterschaft, die sehr kompakt stehen: die Niederlande zum Beispiel baute gegen Chile ein Bollwerk auf, gegen das kaum ein Durchkommen möglich war. Auch Mexiko stand in den ersten drei Spielen sehr geschlossen.
Aber es gibt kein Team, das dieses kompakte Spiel so beherrscht wie Uruguay. Zum einen, weil man in dieser Besetzung schon sehr lange zusammenspielt, zum anderen unterbindet man immer wieder mit kleinen Fouls und Nickligkeiten den Spieltakt des Gegners. Dazu ist das Team eine Mannschaft – jeder läuft und kämpft für jeden.
Also „klassischer rechter Fußball“, um mal bei Altmeister Cesar Luis Menotti zu bleiben? Siegen um jeden Preis? Ohne Sinn für Ästhetik und Schönheit? Das häßliche Spiel? Nur bedingt – Uruguay 2010 und 2014 ist nicht so schlimm wie Kloppertruppen dieses Landes aus früheren Jahren. Das Team bei der WM 1986 in Mexiko bleibt in Sache Härte unübertroffen. Da galt jede Attacke dem Gegner und nicht dem Ball. Die Mannschaft hatte damals einen Abwehrspieler namens Victor Diogo, der senste alles um, was in seiner Nähe war.
Auch Uruguay 2014 hat mit Caceres, Arevalo Rios, Alvaro Pereira oder Maxi Pereira einige knochenharte Typen dabei. Diego Godin zählt zu den besten Innenverteidigern der Welt, mit Jose Maria Gimenez wächst ein großartiges Talent auf dieser Position heran. Doch vorne hat man mit Edinson Cavani und eben Luis Suarez herausragende Individualisten, die immer ein Spiel entscheiden können. Wenn sie sich denn mal auf das Spiel konzentrieren.
1986 war im Achtelfinale Schluss, der zweimalige Weltmeister Uruguay scheiterte am Erzrivalen und späten Champion Argentinien. Jetzt geht es gegen Kolumbien, einen weiteren Südamerikaner – aber wahrscheinlich ohne Suarez.