Für Nicht-Briten wirkt es immer ein wenig skurril: Da fahren ein paar Kutschen – mit einer gepflegten älteren Dame in der ersten – über das Geläuf und die Masse zückt nicht nur ihre Smartphones, sondern bejubelt auch die alte Dame. Und diese winkt huldvoll zurück. Das königliche Rennfestival Royal Ascot – und natürlich ist die Gastgeberin immer noch live dabei. Nun geht es allerdings nicht nur um die skurrilste Kopfbedeckung und andere Nebensächlichkeiten, sondern auch um Galopprennen der Extraklasse. Die Protagonisten des königlichen Festivals 2019.
Frankie Dettori
1991 schlug im Deutschen Derby der Außenseiter Temporal den Favoriten Lomitas. Vom Sieger war danach wenig zu hören, vom Zweiten umso mehr, am meisten aber vom siegreichen Reiter Frankie Dettori. Denn der damals gerade mal 20jährige Italiener machte als Jockey die große Karriere, schrieb mit den Magnificent Seven in Ascot Geschichte und wirkt wie neugeboren, seitdem die Godolphin-Fesseln weg sind. Am Donnerstag war mal wieder Dettori-Tag in Ascot: Die ersten vier Rennen gewann Dettori, viermal machte er seinen berühmten“flying dismount“. Beinahe hätte es sogar einen fünften fliegenden Abgang gegeben, denn Rennen 5 schien er mit Turgenev fast schon sicher zu haben. Doch dann zog noch Harry Bentley mit Biometric vorbei. Die Buchmacher atmeten auf.
„Wir werden Frankie vermissen, wenn er aufhört“, sagt Ascot-Boss Chris Stickel. „Er ist ein Superstar, reitet diesen Kurs sehr gut und macht die Zuschauer glücklich.“ Doch Schluss ist noch lange nicht. Auch mit fast 50 ist Frankie Dettori Weltklasse. Vielleicht wartet er ja wirklich auf seinen Sohn, bis der so weit ist. Sieben Siege feierte er in der königlichen Woche, natürlich war er der erfolgreichste Jockey.
Stradivarius
Der Schützling von Trainer John Gosden hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem einstigen Top-Hürdler Big Buck’s – nicht nur dass beide Seriensieger und über Steherdistanzen unterwegs sind/waren. Beide gewinnen/gewannen ihre Rennen nie mit großen Abständen, irgendwann muss die Serie doch mal reißen, denkt sich der Kolumnist. Auch weil er ungern Favoriten wettet. Doch beide Pferde haben das gewisse Extra – diesen Willen, ein Rennen nicht zu verlieren. Am Donnerstag gaben Dee Ex Bee, der grandiose Außenseiter Master Of Reality und Cross Counter alles, doch am Ende hieß der Sieger wieder Stradivarius. Es war sein siebter Erfolg in Serie, sein zweiter Ascot Gold Cup. Er ist der König der Steher. Ascot feierte ihn und seinen Jockey Frankie Dettori (siehe oben) frenetisch. Ganz großes Kino.
Japan
Das Pferd, das aus der O’Brien-Armada im Epsom-Derby besonders auffiel, war der Dritte Japan. Zum Schluss machte dieser noch viel Boden gut, ohne den Sieger Anthony Van Dyck letztlich zu gefährden. Aber das sah nach viel Potenzial aus – und das zeigte sich in den King Edward Stakes. Da kam Japan auch spät und gewaltig, doch diesmal gab es keine Opposition. Es war zwar „nur“ ein Gruppe 2-Erfolg, aber ein sehr überlegender. Und er dürfte einige Pferde mit viel Talent geschlagen. Unter anderem meinen Tipp Bangkok, der immerhin seine schwache Derbyvorstellung vergessen ließ.
Als wenn es Training wäre: Japan siegt in den King Edward Stakes
Blue Point
Am Ende kam der anstürmende Dream Of Dreams noch bedrohlich nahe, doch Blue Point mobilisierte noch mal alle Reserven und triumphierte mit einem Kopf Vorsprung. Und damit schaffte der Godolphin-Schützling – trainiert von Charlie Appleby und geritten von James Doyle – das berühmte Gruppe 1-Sprint-Doppel. Er holte sich sowohl die Diamond Jubilee Stakes (1200 Meter) am Samstag als auch die King’s Stand Stakes (1000 Meter) am Dienstag. Zuletzt gelang 2003 dem Australier Choisir das. „Er ist ein echter Champion“, sagte sein stolzer Jockey. Es war Blue Points fünfter Erfolg in Serie, in Ascot gestaltete er fünf seiner sechs Starts erfolgreich.
Hayley Turner
Es war eine Doppelpremiere, dieser Erfolg des 33-1 Schusses Thanks Be in den Sandringham Stakes am Freitag: Der erste Royal Ascot-Sieg sowohl für Trainer Charlie Fellowes als auch Jockey Hayley Turner. Aber Turner gehörte eher die Aufmerksamkeit als dem tüchtigen Trainer Fellowes. Denn sie war die erste Frau nach 32 Jahren und Gay Kelleway, die ein Rennen während des königlichen Festivals gewann. 50,8 kg trug die Siegerin, dafür verzichtete Hayley Turner „auf Frühstück und Mittagessen“. „Es lohnte sich“, sagte sie nach dem Rennen. Und „es war nur eine Frage der Zeit.“ Dabei sind die Top-Erfolge von Frauen im Sattel auch im englischen Rennsport noch eine Ausnahme. Turner aber brach einige Barrieren: die erste Frau mit 100 Siegen in einer Saison (2008), die erste Frau mit einem Gruppe-Sieg. Fast 800 Rennen hat die inzwischen 36jährige in ihrer langen Laufbahn gewonnen. Ende 2015 war aber erstmal Schluss mit Rennreiten, Turner arbeitete unter anderem als TV-Expertin. Doch sie kam aus dem Ruhestand zurück – mit Erfolg.
Daniel Tudhope
Manchmal sieht man schön, was Selbstvertrauen bei einem Jockey ausmacht. Danny Tudhope ist ein solider Jockey, aber die großen Erfolge feiern andere: Ryan Moore, James Doyle oder (siehe oben) Frankie Dettori. Doch Tudhope begann die königliche Woche mit einem Knall, als er mit dem 15:1-Außenseiter und Haudegen Lord Glitters in den Queen Anne Gr.1 Stakes viele höhergehandelte Gegner besiegte. Es war ein kluger Ritt aus der Reserve für seinen alten Boss David O’Meara. Es folgte ein souveräner Erfolg mit Addeybb in der Wolferton Stakes zum Abschluss des ersten Tages.
Und dann kam am zweiten Tag der Triumph mit Move Swiftly wiederum für Trainer William Haggas in den Duke of Cambridge Stakes. Wieder hielt Tudhope sein Pferd anfangs in den hinteren Bereichen, wartete lange auf den richtigen Moment und fand im Gegensatz zu anderen Teilnehmern die Lücken. Es war ein perfekter Ritt. Am Donnerstag war dann wieder Alltag angesagt: Ripon stand auf dem Programm – und nicht Royal Ascot. Am Samstag legte er noch einen drauf und holte sich mit dem 26:1-Schuss Space Traveller die Jersey Stakes.