Eigentlich könnte man sich diesen ganzen Wettstress vor dem Deutschen Derby sparen. Formen studieren und miteinander vergleichen, die wichtigsten Vorbereitungsrennen noch einmal schauen – überflüssig. Einfach nach Jockeys entscheiden. In Deutschland kann die Wahl nur auf einen fallen: Andrasch Starke. So auch in diesem Jahr: Starke gewann in Hamburg sein siebtes Derby mit Nutan, trainiert von Trainer Peter Schiergen und im Besitz des Stalles Nizza. Es war eine großartige Leistung von Ross und Reiter.
Allein auf weiter Flur: Nutan heißt der Derbysieger 2015. (Bild: German Racing/Rühl)
Es gibt manchmal so einen magischen Moment in einem Rennen. Auch im Deutschen Derby 2015, etwa 200 Meter vor dem Ziel. Eigentlich guckt man in dieser Phase immer auf seinen Tipp. Doch am Sonntag ging der Blick Richtung Innenrails: Da vergrößerte
Nutan seinen Vorsprung quasi wie er wollte, galoppierte einfach nur weiter und löste sich ganz leicht vom Feld. Zum Schluss waren es fünf Längen Vorsprung, ein unerwartet überlegener Sieg.
Nutan zählte zwar zu den Mitfavoriten, doch irgendwie wirkt er noch immer etwas grün. Nicht verwunderlich, es war auch erst sein vierter Start im Leben. Zwischen der Union Mitte Juni und dem Derby hat sich der Sohn des Duke of Marmalade offenbar noch mal gewaltig verbessert. Für den Laien ist das kaum vorstellbar, aber manche Dinge im Turf sind einfach schwer zu erklären. Zudem sind 2400 Meter die Idealdistanz für den Halbbruder der großartigen Stute
Nymphea.
Andrasch Starke servierte seinen Partner ein Traumrennen aus der Startbox 1 und fand mit
Koffi Prince ein ideales Führpferd. Zudem profitierten Pferd und Jockey davon, dass der Boden diesmal nicht aufgeweicht war. Denn dann entwickelt sich der innere Teil des Geläufes oft zur Standspur, weil dieser Bereich mehr beansprucht wird. Bei gutem Boden aber spart das Pferd einige Meter und Kraft.
„Manchmal habe ich den Eindruck, dass Starke jeden einzelnen Grashalm und jede unebene Stelle dort kennt“, habe ich vor zwei Jahre nach seinem Derby-Sieg mit
Lucky Speed geschrieben. 2015 kann man das nur wiederholen, denn der in der Nähe von Hamburg geborene Jockey präsentierte sich während des gesamten Derby-Meetings in großartiger Form. Was für Boris Becker einst Wimbledon war, ist für Andrasch Starke die Rennbahn in Hamburg-Horn. Quasi sein Wohnzimmer.
Hinter dem Sieger gab es die üblichen Überraschungen: Der nachgenannte
Palace Prince sicherte sich mit gutem Schlussakkord Platz 2, der Riesen-Außenseiter
Fair Mountain aus dem Stall von Andreas Wöhler sicherte sich Platz 3. Überhaupt Wöhler, arg gebeutelt durch der Ausfall der Favoriten
Quasillo und
Karpino: Auch
Rogue Runner lieferte eine gute Leistung ab und wurde Fünfter.
Areo, der Tipp dieser Kolumne, hielt sich ebenfalls achtbar und wurde Vierter. Die größte Enttäuschung war der 29:10-Favorit
Shimrano, der nach schlechtem Rennverlauf nur Platz 11 belegte.
Wenn Musik quält
Derbytage in Deutschland sind eine langatmige Angelegenheit. Ein Mammut- Programm mit 12 Prüfungen, das kurz nach 12 Uhr beginnt und kurz vor 19 Uhr endet. Wenn die Veranstaltung denn pünktlich ist – und damit hat man es im deutsche Turf immer noch nicht so.
In Hamburg beruft man sich auf die Tradition. Warum sollte sich was ändern, haben wir schon immer so gemacht? Das Derby ist das neunte Rennen der Karte und kommt zu einem Zeitpunkt, an dem viele Besucher auf der Bahn und vor den Bildschirmen schon körperlich und geistig in den Seilen hängen. Das ist schade und eigentlich unwürdig für ein Rennen mit dieser Faszination
Früher habe ich den Renntag immer beim Buchmacher in netter Runde verfolgt, schon da halfen manchmal nur gute Gags gegen den Zwischenblues. Vor dem PC ist es noch schlimmer. Der Tag zieht sich unendlich, zumal die deutschen TV-Bilder nicht gut sind. Hinzu kommen andere Faktoren: Wer kam eigentlich auf die Idee, alles mit einem schrecklichen Musikteppich zuzuklatschen?
Ich habe in der Woche die Veranstaltung nur wenig live verfolgt, aber schon da ist mir die Musik auf den Geist gegangen. Noch schlimmer war es allerdings bei der Parade der Derbystarter, wo sie im Hintergrund plärrte. Als die Pferde in die Boxen rückten, lief Phil Collins: „Another day in paradiese“ in einer Disco-Version.
Vielleicht sollte der Hamburger Renn-Club mal nach England gucken, wie dort Spannung vor großen Rennen aufgebaut wird. Beim Epsom Derby etwa. Oder am letzten Samstag bei der Eclipse in Sandown. Aber dort hat man es auch nicht so mit den Mammut-Veranstaltungen. In der Regel umfasst dort ein Renntag maximal sieben Rennen, das Top-Rennen kommt an dritter oder vierter Stelle. Einfach mal angucken, acht Prüfungen am Derbytag würden es auch tun. Und die Musik weglassen.