Gestatten, ich bin Weltmeister. Fußball-Weltmeister. Auch wenn ich aktiv sportlich in meiner Glanzzeit höchstens um lokale Ehren gekämpft habe. Aber egal – wir, das heißt alle Deutschen, sind Weltmeister. Auch ohne direkte Beteiligung, sagen zumindest Bild und Co.
Dabei nenne ich den Spieler, der das goldene Tor im Finale gegen Argentinien schoss, manchmal „Judas“. Weil er vom geliebten BVB zum ungeliebten FC Bayern wechselte und dort eine neue sportliche Herausforderung suche, sagt er. Weil er dort viel mehr Geld als in Dortmund verdient, sage ich. Dreimal soviel wie Toni Kroos, stand in der seriösen Frankfurter Sonntagszeitung. Und darum verlässt wahrscheinlich Kroos Bayern München und geht zu Real Madrid.
Dabei war Kroos einer der besten Spieler dieser WM, Mario Götze hingegen bis zu seinem Tor höchstens Mitläufer.
Das Tor hat Götze natürlich großartig gemacht. Technisch hoch anspruchsvoll, aber dieses technische Vermögen hat er auch ja in der Jugendabteilung von Borussia Dortmund verfeinert.
Kleber
Fußball-Weltmeisterschaften sind schon eine tolle Sache. Vier Wochen dreht sich alles um die „schönste Nebensache der Welt“. Das mit der Nebensache ist natürlich Humbug. Fußball ist das Wichtigste auf der Welt und der Klebstoff, der eine Gesellschaft zusammenhält. Viel mehr als Politik. Wie die Nationalmannschaft bei einer WM abschneidet, bestimmt die Stimmung eines Landes.
Die Nation leidet beim Scheitern. Gastgeber Brasilien wurde nur Vierter – Versager, eine ganze Nation weint. Die einstigen Fußball-Großmächten Spanien, Italien und England scheiterten schon in der Vorrunde – kollektive Trauer, die Medien fordern mindestens den Rücktritt des Trainers. Die gleichen Medien, die im Falle des Erfolges Spieler und Trainer zu Heiligen stilisieren.
Kollektive Jubelszenen im XXL-Format hingegen aus Costa Rica oder Algerien. Länder, die sonst nicht zu den Fußball-Großmächten gehören, aber in Brasilien für Aufsehen sorgten.
Eine Fußball-WM drängt alle anderen Sachen in den
Hintergrund. Kriege, Konflikte und Krisen werden zur Nebenschauplätzen. Das wissen der Welt-Fußballverband FIFA und seine skandalumwitterten Spitzenfunktionäre. Sie können für eine WM Forderungen stellen, für die man andere aus dem Land jagen würde.
In Brasilien gab es vor der WM berechtigte Proteste gegen die hohen Kosten der WM – Gelder, die für andere Dinge deutlich besser geeignet wären. Doch als der Ball rollte, rückte das völlig in den Hintergrund. Die Spiele interessierten mehr als teuere, ineffiziente Buslinien in Sao Paulo, Recife oder Manaus.
Ein würdiger Champion
Sportlich war es eine gute Weltmeisterschaft. Besonders in der Vorrunde gab es viele interessante Spiele, eigentlich war kein Tag langweilig. Ich mag generell den südamerikanischen Fußball – diese Leidenschaft, dieses hohe technische Vermögen. Zugegeben, manchmal übertreiben sie etwas in Sachen Härte. Aber Mannschaften wie Kolumbien oder Chile verkörperten überwiegend die positiven Tugenden; zudem versuchten beide immer, zu agieren statt zu reagieren.
Oder die Überraschungsteams aus Mittelamerika: Mexiko etwa war so stark wie noch nie. Mannschaftlich sehr geschlossen, aber offensiv aufgestellt, dazu ein großartiger Keeper. Und natürlich Costa Rica, das sich in der Gruppe mit Uruguay, Italien und England durchsetzte. In Achtel- und Viertelfinale fehlte dann etwas die Kraft, aber Spieler wie Navas, Ruiz, Umana oder Campbell kennen nach dieser WM nicht mehr nur Insider.
Aber Deutschland ist ein würdiger Weltmeister. Manchmal war es ein wenig haklig, aber die Mannschaft fand immer wieder Antworten, steigerte sich eindrucksvoll und konnte sich auf einen großartigen Torhüter verlassen. Und auch der von mir gerne kritisierte Trainer Joachim Löw traf die richtigen Entscheidungen.
Es gab früher deutsche Nationalmannschaft, für die man sich quasi schämen musste. 1982 zum Beispiel, als eine Ansammlung von Unsympathen Vizeweltmeister schämen musste. Dann waren da diese Teams, die mit Kampf, Kraft und auch Krampf gut abschnitten.
Doch seit der Heim-WM 2006 steht die Adler-Elf für attraktiven Fußball. Und in den letzten Jahren entwickelte sich vielleicht die beste Generation, die es in Deutschland je gab.
Die deutsche Nationalmannschaft zählt spielerisch zu den Besten der Welt. Doch erst 2014 belohnten sich die Hochbegabten mit einem Titel. Die „Generation Halbfinale wurde endlich zur Generation Gold“ (
kicker).
„Wir werden jetzt jeden Tag mit einem Lächeln aufwachen“, sagte eben dieser großartige Torhüter Manuel Neuer direkt nach dem Finale. Der Gelsenkirchener Junge ist ein Produkt der starken Jugendarbeit des FC Schalke 04 und leider beim FC Bayern München – aber ein sympathischer Typ. Und eben Weltmeister – wie wir alle. Unvorstellbar, dass man ihn in Dortmund mit Bananen begrüßt