Was für unterschiedliche Halbfinal-Spiele bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien: Am Dienstag das historische 7:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen den Gastgeber Brasilien, gestern ein völlig ödes Match zwischen Argentinien und den Niederlanden. 120 Minuten Rasenschach, am Ende gewannen die Südamerikaner nach Elfmeterschießen. Und damit kommt es im Finale mal wieder zum Showdown zwischen Deutschland und Argentinien.
Der Dienstag in Deutschland wirkte zunächst nicht so wie ein Tag, an dem Geschichte geschrieben wird. Hier in Dortmund regnete es kontinuierlich den ganzen Tag, es war kalt für den Juli und trübe wie im Herbst. Das Wetter dämpfte auch ein wenig die schwarz-rot-goldene Euphorie. In der Dortmunder Innenstadt sah man am frühen Abend nur wenige weiße als auch rot-schwarze-Deutschland-Trikots.
Der Kolumnist ist so und so kein Freund von Public Viewing, guckt das lieber in Ruhe von zuhause. Doch was dann an diesem Abend im entfernten Belo Horizonte geschah, fällt zweifellos in die Kategorie von Spielen, wo danach jeder gefragt wird, was er an diesem Abend gemacht hat. 7:1 deklassierte Deutschland den Gastgeber Brasilien und brach damit eine Menge dieser (überflüssigen) Statistik-Rekorde, mit denen Fußball-Journalisten immer so gerne hausieren gehen.
Es war eine herausragende Leistung der deutschen Elf. Nach ausgeglichenem Beginn nutzte Thomas Müller quasi die erste deutsche Torchance. Und was dann zwischen der 23. und 29. Minute passierte, war ein Alptraum für die Selecao und die brasilianische Seele: Vier Tore schoss Deutschland, nach 29 Minuten stand es 5:0. Ich saß im Sessel und bekam den Mund nicht zu, zeitweise sah es so, als wenn in der Vorbereitung eine Auswahl örtlicher Amateure (Brasilien) auf einen Erstligisten (Deutschland) trifft und dieser auf einmal Ernst macht. Und die diesmal Schwarz-Roten erwiesen sich als gnadenlos effizient, von sechs Versuchen waren fünf im Tor der Brasilianer.
Brasilien weint
Wer hätte so ein Ergebnis prophezeit? Deutschland blieb zwar ohne Niederlage, hatte aber nicht immer überzeugt, beispielsweise im Achtelfinale gegen Algerien. Gegen die gleichwertigen Franzosen im Viertelfinale war die Defensive top, offensiv gab es noch einige Wünsche. Und jetzt? Eine Leistung, die auch Leute wie mich, die der Nationalmannschaft und dem Trainer eher skeptisch gegenüberstehen, beeindruckt hat. Zudem gefiel mir, wie sportlich fair Spieler und Offizielle mit dem Sieg umgingen und den traurigen Brasilianern Trost spendeten.
Unzählige Tränen flossen nach dem Spiel im Gastgeberland. Jedenfalls zerfiel der fünffache Weltmeister im Halbfinale in alle Einzelteile, ein Debakel, das nicht nur an den fehlenden Neymar und Thiago Silva lag. Die brasilianischen Zeitungen sprachen von Demütigung und Massaker, die
Süddeutsche Zeitung schrieb„von der schwächsten Selecao seit den fünfziger Jahren“. Das sehe ich nicht so, denn seit dem letzten Titel 2002 haben mich die Mannschaften aus Brasilien alle nicht überzeugt. Dennoch setzte Trainer Luiz Felipe Scolari auf die falschen Leute wie etwa den Mitleid erregenden Mittelstürmer Fred.
Höchststrafe
Das zweite Halbfinalspiel zwischen den Niederlanden und Argentinien entwickelte sich leider zu dem befürchteten Langweiler. Beide Teams wollten nur kein Tor kassieren und so bestimmten die Deckungen das Geschehen. Es war eines der Spiele in der Spätphase einer Fußball-Weltmeisterschaft, in denen man sich wünscht, dass die WM doch ein Ende nehme. Aber bei diesen Veranstaltungen gibt es noch Verlängerung und das ist dann die Höchststrafe. Fußballerische Folter, passend entschieden im Elfmeterschießen.
Bondscoach Louis van Gaal bekam nach der Niederlage sein Fett weg, dabei hatten vor der WM die wenigsten darauf gesetzt, dass das Team in Orange weit kommt. Doch van Gaal ruft mit seiner rechthaberischen Art automatisch Widerstand hervor und wenn er dann noch dem heiligen 4-3-3 Spielsystem abschwört, dann schreit Hollands Fußball-Elite auf. Doch diesmal bekommt van Gaal nicht nur aus der
Heimat Kritik.
Argentinien spielt bei dieser WM so wie Italien früher: Eine sehr stabile Deckung, vorne soll es Superstar Lionel Messi richten. Der ist nicht in allerbester Form, aber immer für eine herausragende Aktion gut. Argentinien agiert nicht, es reagiert.
Die 2014-Auswahl der Albiceleste erinnert mich an die von der Weltmeisterschaft 1990. Die hatte er auch einen Superstar namens Diego Maradona, der auch nicht richtig in Form war, und einen unsicheren Torhüter, der aber im Elfmeterschießen zu großer Form auflief. Nur im Finale war er chancenlos gegen den Elfmeter von Andreas Brehme – und das ist doch ein gutes Zeichen für die deutsche Nationalelf.
So war es 1990 im WM-Finale: Fast nur deutsche Chancen, erst kurz vor Schluss traf Andreas Brehme per Strafstoß zum erlösenden 1:0 gegen Argentinien.