Natürlich gucken alle Freunde des Fußballs derzeit auf die kommende WM in Brasilien. Doch wer irgendwann von den Nichtigkeiten aus dem Lager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft genug hat und nach dem vierten müden 1:0/0:0-Spiel ein wenig Abwechslung sucht, dem empfehle ich Ronald Rengs „Spieltage: Die andere Geschichte der Bundesliga". Eines der besten Fußballbücher aller Zeiten, die ich gelesen habe. Also nicht nur ein Tipp für müde WM-Zeiten.
Es gab eine Zeit, da spielte der VfL Bochum in meinem Leben eine durchaus wichtige Rolle. Zu Anfang der siebziger Jahre lebte ich noch im Sauerland, der BVB kickte in den Niederungen der Regionalliga und die sauerländische Dorfjugend teilte sich in Anhänger von Schalke 04 und Bayern München. Ich war schon immer gern anders als die Masse und die Bochumer in ihren blauen Trikots mit den zwei weißen Streifen gefielen mir. So wurde der kleine Revierclub mein Favorit in der Bundesliga. Walitza, Abel, Lameck und Kaczor hießen lange meine Idole. Das brachte mir viel Spott ein, den ich aber gut kontern konnte.
Der VfL war anders als die meisten Bundesliga-Clubs. Geld hatte er nicht, dafür war er eine Insel der Kontinuität. An der Spitze stand Herrenausstatter Ottokar Wüst und eine Trainerstelle in Bochum wirkte wie eine Position auf Lebenszeit – im Gegensatz zu den meisten anderen Clubs, die auch in den 70ern ihre Übungsleiter wahllos heuerten und feuerten.
Dieser Trainer hieß damals Heinz Höher – mit ihm, seinen Stationen und seinen Erlebnissen erzählt Ronald Reng die Geschichte der Bundesliga. Höher spielte beim Bundesligastart 1963 beim damaligen Meidericher SV, trainierte in den 70er und 80er Jahren in der Bundesliga unter anderen den VfL Bochum und den 1.FC Nürnberg und versuchte sich dann später als Berater des von ihm entdeckten Spielers Juri Judt.
Das Ergebnis ist ein fantastisches Sportbuch, mehr als nur eine Chronik der Liga. Es ist ein herausragendes Portrait, das eindrucksvoll die Veränderungen im Laufe der Jahre schildert. Und nicht nur die sportlichen, sondern auch die gesellschaftlichen.
Als Journalisten noch Größen waren
Reng erzählt die Geschichte spannend und temporeich, die Lektüre hat mich vom ersten Moment an regelrecht gefesselt. Der eigentlich sehr verschlossene Höher gibt vieles preis, aber nie entsteht der Eindruck, dass Reng ihn oder andere Protagonisten demaskiert. Gerade die siebziger (wo ich den Fußball entdeckte) und achtziger Jahre wurden wieder lebendig und weckten viele Erinnerungen.
Reng hat nicht nur intensiv mit Heinz Höher und seiner Familie gesprochen, sondern auch mit anderen unzähligen Zeitzeugen. Zum Beispiel in den siebziger Jahren beim VfL Bochum: eine Zeit, in der Trainer wenig mit ihren Spielern redeten, Trinken nach dem Sport verpönt war (außer später in der Kneipe) und Lokalreporter wie Heinz Formann von der Bochumer WAZ noch eine herausragende Bedeutung hatten. Höher ist sehr ehrlich, verklärt nichts und ist stolz auf seine Taktikideen, die in dieser Zeit nur die Experten mitbekamen.
In den achtziger Jahren geht Heinz Höher dann zum 1.FC Nürnberg, ein damals schon kriselnder Traditionsklub. Dort stieg er als Trainer ab, überlebte dann eine Spielerrevolte, entdeckte Talente wie Stefan Reuther, Hans Dorfner oder Dieter Eckstein, stieg mit einer jungen Mannschaft noch in der Saison der Revolte auf und führte den Club in den UEFA-Cup. Doch auch in Franken steht sich Heinz Höher mit seiner Verbissenheit oft im Wege.
In den neunziger Jahren wird die Bundesliga wieder bunt, der Proletarier-Sport Fußball erobert die Mittelklassen. Auf einmal war es angesagt, im Trikot ins Stadion zu gehen. Doch ein alter Fahrensmann wie Höher passt nicht in diese boulevardeske ran-Welt.
Spieltage ist ein gnadenlos ehrliches Buch, das die Schattenseiten der Karriere ohne Filter dokumentiert. Heinz Höher gerät in einer Lebenskrise, keiner will ihn beruflich – doch der Trainer findet einen Strohhalm. Er geht an die Basis, trainiert die D-Junioren der SpVg. Greuther Fürth und eckt dort mit seinen harten Methoden an. Der einstige Fußball-Lehrer kümmert sich um die Karriere von Juri Judt, der es in den Profifußball schafft. Doch irgendwie wirkt Höher in dieser neuen boomenden Fußballwelt wie ein Fremder.
Fazit
Ein großartiges Fußball-Buch: Reng schildert spannend und temporeich die Geschichte des Spielers, Trainers und Managers Heinz Höher in 50 Jahren Bundesliga. Ein eindrucksvolles und ehrliches Portrait des Profifußballs in Deutschland. Neben „Der Traumhüter“ vom gleichen Autoren und Tim Parks „Eine Saison mit Verona“ das beste Fußball-Buch aller Zeiten. Pflichtlektüre!
Das Buch