Dienstag, 23. September 2014
Wenn die Bild am Sonntag mal über Turf schreibt
Es ist nicht so, dass die Bild am Sonntag, Deutschlands auflagenstärkste Sonntagszeitung, regelmäßig über Galopprennen berichten würde. Am letzten Wochenende gab es zum Beispiel das St. Leger in Dortmund, immerhin ein „klassisches“ Rennen. Davon stand keine Zeile im Blatt. Selbst das Deutsche Derby in Hamburg, das wichtigste Rennen des Turfkalenders, schaffte es nicht mehr in den fußball-dominierten Sportteil. Früher gab es mal eine manchmal unfreiwillig komische Derby-Vorschau von Klaus Göntzsche, aber diese Zeiten sind längst vorbei.
So ganz richtig ist das jedoch nicht. Am Sonntag hatte die BamS (nicht online) auf Seite 35 einen Text mit der Überschrift „1,6 Mio. Euro-Pferd nach Beinbruch erschossen“ im Heft, dazu zeigte ein Foto, wie ein Mann dem Rennpferd Wigmore Hall eine Pistole an den Kopf hält. Zum Glück relativ unscharf und etwas versteckt im Heft – aber das Bild ist dennoch schockierend genug.
Warum bringt das Blatt so ein Bild? Der übliche Boulevard-Voyeurismus, die übliche Sensationsmache? Bei den sogenannten Randsportarten zählt das sportliche nicht besonders, dann sind andere Dinge entscheidend. Wenn etwa der Trainer mit der Frau des Besitzers schläft oder eben ein Pferd, das erschossen wird. Und natürlich nennt die BamS die Quelle nicht, wo sie die Geschichte her hat.
Es stammt aus einer Bilderserie der englischen Tierschutz-Organisation Animal Aid, die dann am letzten Samstag die englische Boulevardzeitung Daily Mirror groß auf seiner Titelseite brachte. Ein Mitglied der Animal-Aktivisten hatte die Bilder heimlich hinter der aufgespannten Leinwand gemacht und dann – eine Woche nach dem bedauerlichen Vorfall – an den Boulevard verhökert. Und dabei konnten die selbsternannten Tierschützer dann wieder ihre Mär vom angeblichen so gefährlichen Rennsport loswerden, der die Tiere leiden lässt und verboten gehört.

Brutale Wirkung
Im Text lässt dann der Mirror immerhin die Vertreter des Rennsportes ausführlich zu Worte kommen und jeder, der ein wenig lesen kann, wird zu der Erkenntnis kommen, dass Rennpferde im Vergleich zu anderen Tieren wie Hühnern oder Schweinen doch ein komfortables Leben führen. Zumal es manchmal nach Verletzungen wie etwa Beinbrüchen leider keine Rettungsmöglichkeiten mehr für Pferde gibt.
Dennoch sind die Bilder schon von brutaler Wirkung. Und viele Leser, die nichts oder wenig mit dem Rennsport zu tun, gucken nur auf diese Bilder. Dabei ist, wenn man den Experten glauben darf, der Tod mit der Pistole „kurz“ und „schmerzlos“, wobei ich es eigentlich widerlich finde, von „humanen Tötungsmethoden“ zu schreiben.
Was hat also den Mirror also angetrieben, diese Geschichte zu bringen? „Wir wollte eine Debatte entfachen“, sagt der Mirror offiziell. Debatte über was? Über einen bedauernswerten Todesfall oder die angebliche Brutalität im Rennsport? Animal Aid als Tippgeber gilt zudem nicht gerade als glaubwürdig, ich empfehle dazu diesen sehr lesenswerten Text von Greg Wood vom Guardian.
Nun ist der Wettbewerb zwischen den englischen Boulevardblättern immer noch knallhart, beharken sich Sun, Mirror, Star oder Daily Mail gewaltig mit sogenannten Exklusivgeschichten. Alle verlieren sie Auflage, der Mirror ist schon seit Jahren ein Krisengebiet, da ist man nicht besonders zimperlich. Aber welches Hirn ist so krank, dass man denkt, mit einem Pferd, das gerade erschossen wird, mehr Zeitungen zu verkaufen?
Der Mirror bringt übrigens jeden Samstag eine durchaus gut gemachte Rennsportbeilage, in der die großen Buchmacher regelmäßig inserieren. Tipster David Yates ist jemand, den ich schätze, weil er manchmal sehr interessante Tipps gegen die Favoriten hat. Aber von ihm kommt die Geschichte ja auch nicht.
Und natürlich bedauere ich den Tod von Wigmore Hall. Er war ein großartiges Pferd, sportlich sehr erfolgreich und ein wahrer Globetrotter. Aber egal wie gut er war – jedes tote Rennpferd ist eins zu viel.



Donnerstag, 18. September 2014
Kaldera auf den Spuren von Hey Little Görl
Was sind Sea The Moon, Australia oder der Arc schon gegen den 7. Großen Preis von DSW 21, das Deutsche St. Leger? Immerhin ist das auch ein Gruppe 3-Rennen über weite 2800 Meter und eigentlich ein Klassiker, allerdings auch in Deutschland längst für ältere Pferde geöffnet. Zudem findet die Prüfung auf meiner Heimatrennbahn in Dortmund statt. Deshalb hängen viele Erinnerungen an diesem Rennen. Starter und Chancen 2014

1. Macbeth (Trainer Michael Appleby/Jockey Andrew Mullen): Handicapper aus England, auch schon über Hürden unterwegs, die letzten Formen reichen aber nicht aus.

2. Ostinato (Trainer Andreas Löwe/Jockey Daniele Porcu): Seit 2014 im Training bei Andreas Löwe, vorher in Ungarn vorbereitet, deutlich geschlagen beim einzigen Jahresstart im Badener Steher Preis. Auch die Formen aus dem Vorjahr überzeugen nicht unbedingt.

3. Rock of Romance (Trainer Andreas Wöhler/Jockey Eddie Pedroza): Nur die letzte Form aus Frankfurt war schwach, ansonsten aber ein sehr formbeständiger Steher und in Bestform ein Siegkandidat.

4. Pipita (Trainer Ralf Paulick/Jockey Koen Clijmans): Zuletzt zweifache Ausgleich 3-Gewinnerin in Leipzig und Hoppegarten. Steherdistanzen sind ihr Ding. Auch wenn die Stute noch etwas Reserven haben könnte, der Sprung vom Ausgleich 3 in ein Gruppe 3-Rennen ist doch gewaltig.

5. Special Meaning (Trainer Mark Johnston/Jockey Francis Norton): Listensieger aus England, zuletzt mit ordentlichen Leistungen in guten Handicaps. Einmal Dritter und nur knapp geschlagen über 2800 Meter. Kein Problem mit der Distanz, sehr gefährlicher Kandidat aus dem Stall, der vor drei Jahren mit Fox Hunt triumphierte.



2011 siegte Fox Hunt aus dem großen englischen Stall von Mark Johnston. Folgt ihm 2014 Special Meaning. (Foto: uk)

6. Best Fouad (Trainer Mathieu Le Forestier/Jockey Zoe Pfeil): Wenig geprüfter Dreijähriger aus Frankreich und bislang nur auf schwerem oder weichem Boden am Start. Zuletzt Zweiter in einem Listenrennen in Deauville über 2500 Meter auf schwerem Boden, Platz 3 belegte der Deutsche Karltheodor. Schwer einzuschätzen.

7. Ephraim (Trainer Markus Klug/Jockey Andreas Helfenbein): Dreijährig, kam immerhin als zweiter Favorit im Baden Badener Auktionsrennen an den Ablauf, enttäuschte dort aber als Letzter. Vorher aber mit ordentlichen Formen, auch wenn die siegreichen Pferde wie Ito danach diese Form nicht bestätigten. Muss sich deutlich steigern, Distanz ist noch ein Fragezeichen.

8. Firestorm (Trainer Peter Schiergen/Jockey Adrie de Vries): Der nächste Dreijährige, beste Formen als knapp geschlagener Zweiter zweimal in der Schweiz (unter anderem im Schweizer Derby), noch nie über 2800 Meter gelaufen, andere Kandidaten überzeugen mehr.

9. Kaldera (Trainer Paul Martin Harley/Jockey Eddy Hardouin): Siegerin im Badener Steherpreis, lief dort wie geboren für diese lange Strecke. Auch vorher mit ordentlichen Formen. Eddy Hardouin sitzt wieder im Sattel und mit dem günstigen Gewicht als dreijährige Stute eine Kandidatin für den Sieg.

10. Virginia Sun (Trainer Jens Hirschberger/Jockey Stephen Hellyn): Erst viermal in ihrem Leben gelaufen und davon dreimal gewonnen. Auch zuletzt als Dritte im Badener Stutenpreis überzeugend. Weiteste Distanz bislang 2200 Meter, aber Halbschwester zum guten Steher Valdino und Vater Doyen hatte ebenfalls reichlich Stamina. Sehr gute Chancen.


Urteil
Wie so häufig und wie auch im letzten Jahr gewinnt eine dreijährige Stute. Kaldera lautet der Tipp dieser Kolumne, der meiste Widerstand wird von Virginia Sun, Special Meaning und Rock of Romance kommen.



Dienstag, 16. September 2014
Das Recht zu pfeifen
Manchmal nerven Medien und Öffentlichkeit einfach nur. Zum Beispiel wenn sie den Moralapostel mimen und das Verhalten anderer brandmarken. Etwa die Tatsache, dass der Fußball-Fan abtrünnige Spieler wie Mario Götze und Manuel Neuer bei ihrer Rückkehr an die alte Wirkungsstätte nicht mehr auspfeifen soll. Das ist totaler Humbug – die Fans, die im Gegensatz zu diesen Söldnern ihrem Verein auch in schlechten Zeiten folgen, haben ein Recht zu pfeifen.

Zum Beispiel Mario Götze. Der hochbegabte Nationalspieler und neuerdings „WM-Held“ gilt nach seinem dubiosen Wechsel von Borussia Dortmund zum Erzrivalen Bayern München quasi als unerwünschte Person in Dortmund. Und zu Recht: Götze stärkte mit seinem Wechsel einen Mitkonkurrenten und verdient keine Nachsicht. Wenn er nach Madrid oder Manchester gewechselt wäre, dann wäre das in Ordnung gewesen. Aber FC Bayern? Vielleicht betrachtet er das Mehrgeld, das er dort verdient, einfach als eine Art Schmerzensgeld. Und mit Pfiffen muss er als Profi leben. Da kann BVB-Boss Hans-Joachim Watzke noch so sehr um Nachsicht betteln. Auch in den nächsten Jahren bleibt Mario Götze ein rotes Tuch bei Schwarz-Gelb.

Ob Weltmeister oder nicht
Zum Beispiel Nationalkeeper Manuel Neuer, seit 2011 ebenfalls beim Rekordmeister aus München. Auch heute pfeifen ihn die Schalker Anhänger immer noch aus, wenn er mit dem FC Bayern in die Arena zurückkehrt. „Fies und kleingeistig“ nennt Hermann Beckfeld diese zuschauer.
Beckfeld ist Chefredakteur der in Dortmund erscheinenden Tageszeitung Ruhr-Nachrichten und schreibt in der Wochenend-Ausgabe des Blattes immer Briefe an bekannte Personen. Die sind ein Highlight der Ausgabe und immer eine lohnende Lektüre, weil Beckfeld ein sehr guter Schreiber ist. Inhaltlich teile ich nicht alles – und in Sachen Neuer liegt der Herr Chefredakteur einfach mal falsch.
Zumal er schon am Anfang ziemlich auf die Emotionen seiner Leser schielt. „Lieber Manuel…..„für die (Schalker Fans) waren Sie der Judas, der Schalke verraten, der seine Leidenschaft für die Knappen verkauft hat.“
Dann geht es richtig auf die Tränendrüse. Der Weltmeister, der immer ein Schalker geblieben ist. Der heute noch zu den Schalker Fans winkt. Der Junge, der einst in der Nordkurve stand. Der extra früher ins Stadion kam, um Jens Lehrmann beim Aufwärmen zu sehen. Tja, mein lieber Hermann Beckfeld, wenn man schon so lange auf Presse- und VIP-Tribünen sitzt, dann weiß man nicht, dass die Fanblöcke schon gefüllt sind, wenn die Torhüter ca. 40 Minuten vor Anpfiff den Rasen betreten.
Der Brief ist eine einzige peinliche Anbiederung an Manuel Neuer – vom beruflichen Aufsteiger quasi zum sportlichen Emporkömmling. Da ist man schon gerne mal auf einer Wellenlänge.

Königsklasse
Aber wenn Neuer immer noch ein Schalker ist, warum ist er dann nicht dort geblieben? Vielleicht, ganz zaghaft angemerkt, spielt doch das liebe Geld eine Rolle. Champions League kann er doch auch mit Königsblau spielen und wenn er dann mal Meister werden würde (ein ganz starker Dortmunder Konjunktiv), dann würde es eine epochale Feier geben und nicht so einen müden Ringelpiez wie in München. Ein großartiger Schlussmann war unser Herzens-Knappe auch schon auf Schalke. Manche Experten meinen zwar, er habe sich beim FCB weiter verbessert, doch diese schreien ja auch bei jeder halbwegs passablen Parade sofort Weltklasse.
Und dann noch das Argument mit dem Weltmeister, auf die wir doch so stolz sein können. Meine Güte, Vereinsfußball ist etwas anderes als die Nationalmannschaft. Meine zweite Reaktion nach dem 2:1 durch Mario G. im WM-Finale war „Ausgerechnet der Götze“.
Wenn Götze und Neuer mit der Nationalmannschaft nach Dortmund und Gelsenkirchen kommen, muss man natürlich nicht pfeifen. Ist ja Nationalmannschaft…